Mutterschaft: Zwischen Glück und Ernüchterung

Mutterschaft wird oft als eine Zeit des absoluten Glücks dargestellt, in der sich jede Mutter vollkommen erfüllt fühlen sollte. Doch hinter diesem idealisierten Bild verbirgt sich oft eine viel nuanciertere Realität. Zwischen körperlichen Veränderungen, emotionalen Umwälzungen und der Suche nach neuen Orientierungspunkten können Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ebenso bereichernd wie verunsichernd sein.

Jede Frau erlebt diesen Übergang auf ihre eigene Weise. Während sich manche sofort verbunden und erfüllt fühlen, durchleben andere Phasen tiefer Erschöpfung, Zweifel und innerer Fragen. Der gesellschaftliche Druck – verstärkt durch Medien und soziale Netzwerke – nährt oft das Bild, dass eine „gute Mutter“ immer glücklich sein muss, und lässt dabei die realen Schwierigkeiten vieler junger Mütter ausser Acht.

Es ist wichtig, offen über die Herausforderungen nach der Geburt zu sprechen, über die Erwartungen, die auf Müttern lasten, und über die Unterstützungsmöglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Mutterschaft ist eine einzigartige Erfahrung, geprägt von Glücksmomenten, aber auch von Anpassungen, Selbstzweifeln und dem Bedürfnis nach Rückhalt. Indem wir die Tabus brechen, ermöglichen wir es jeder Mutter – und jedem Elternteil – diese Reise mit mehr Gelassenheit und Selbstmitgefühl zu erleben.

Ein intensiver und manchmal verwirrender Übergang

Mutterschaft verändert das Leben einer Frau tiefgreifend. Körperliche Veränderungen, die steigende mentale Belastung, neue Verantwortungen und emotionale Schwankungen machen das Wochenbett oft zu einer fordernden Phase – weit entfernt vom idealisierten Bild, das die Gesellschaft häufig vermittelt.

Allgegenwärtiger gesellschaftlicher Druck
Im kollektiven Bild ist eine erfüllte Mutter eine Frau, die von Natur aus mit ihrem Baby im Einklang ist – ruhig, glücklich, strahlend. Dieses Idealbild der „perfekten Mutter“ erzeugt einen Druck, der viele junge Mamis dazu bringt, ihre Schwierigkeiten zu verschweigen – aus Angst vor Bewertung. Dabei ist es völlig normal, sich erschöpft, überfordert oder sogar traurig zu fühlen.

Wenn die Realität anders ist als erwartet, kann das Schuldgefühle auslösen. Sich überfordert fühlen, nicht sofort eine innige Bindung zum Baby spüren oder Momente der Einsamkeit erleben – all das macht niemanden zu einer schlechten Mutter. Im Gegenteil: Diese Gefühle anzuerkennen und auszudrücken, ist ein wichtiger Schritt, um diesen Übergang besser zu meistern.

Zwischen Glück und Ambivalenz
Emotionale Ambivalenz ist ein natürlicher Bestandteil des Elternwerdens. Man kann grosse Freude empfinden, ein Kind geboren zu haben – und gleichzeitig Zeiten des Zweifels oder der Verletzlichkeit durchleben. Sein Baby innig zu lieben schliesst Momente von Erschöpfung, Reizbarkeit oder Sehnsucht nach dem früheren Leben nicht aus.

Jede Mutter erlebt ihre Rolle anders. Manche fühlen sich schnell wohl, andere brauchen Zeit und Unterstützung. Es gibt keine Norm, kein Richtig oder Falsch – wichtig ist, die eigenen Gefühle anzunehmen, ohne Schuldgefühle, und offen darüber sprechen zu dürfen – ohne Scham und ohne Tabu.

 

 

 

Körperliche und emotionale Herausforderungen der Mutterschaft

Hinter dem idealisierten Bild des Elternseins verbergen sich viele reale Herausforderungen, sei es körperlich, psychisch oder im zwischenmenschlichen Bereich. Diese zu erkennen und zu akzeptieren hilft, besser mit ihnen umzugehen.

Das Wochenbett: hormonelle und körperliche Umstellung
Die Zeit nach der Geburt – das Wochenbett – ist eine Phase intensiver körperlicher Erholung. Nach der Entbindung fällt der Hormonspiegel rapide ab, was zu Stimmungsschwankungen, starker Müdigkeit und manchmal zum Babyblues führt. Gleichzeitig können Wundheilung nach einem Kaiserschnitt oder Dammschnitt, Muskelverspannungen und andere körperliche Veränderungen belastend sein.

Das Verhältnis zum eigenen Körper nach der Geburt ist oft schwierig – besonders in einer Gesellschaft, die ein schnelles "Zurück zur alten Figur" erwartet. Dabei hat der Körper Grossartiges geleistet – er verdient Zeit, um sich sanft und ohne Druck zu erholen.

Erschöpfung und mentale Belastung
Der Schlafmangel in Kombination mit den Anforderungen des Alltags kann schnell zur Überforderung führen. Zwischen nächtlichem Stillen, Babygeschrei, Organisation des Haushalts und Pflegeaufgaben fühlen sich viele neue Mütter rasch überwältigt.

Hinzu kommt die mentale Last, verstärkt durch widersprüchliche Erwartungen. Stillen oder Flasche geben? Auf den eigenen mütterlichen Instinkt hören oder medizinischen Ratschlägen folgen? Solche Entscheidungen – oft getroffen im Zustand chronischer Müdigkeit – können grossen Stress verursachen.

Hilfe anzunehmen, Aufgaben zu teilen und sich kleine Ruhemomente zu gönnen ist entscheidend, um das eigene emotionale Gleichgewicht zu wahren und einem Mama-Burnout vorzubeugen.

Psychisches Wohlbefinden und Risiko einer postpartalen Depression
Der Babyblues betrifft etwa 80 % der frischgebackenen Mütter und ist meist vorübergehend. Doch in manchen Fällen entwickelt sich daraus eine Wochenbettdepression, die tiefer geht und länger anhält. Symptome können tiefe Erschöpfung, anhaltende Traurigkeit, Desinteresse am Baby, geringes Selbstwertgefühl oder das Gefühl sein, „keine gute Mutter zu sein“, sein.

Dieser Zustand kann jede Frau treffen – unabhängig von ihrer Vorgeschichte. Deshalb ist es so wichtig, sich nicht zu isolieren. Sich Hilfe zu holen, mit einer vertrauten Person zu sprechen oder eine auf Perinatalpsychologie spezialisierte Fachperson zu konsultieren, ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zurück ins seelische Gleichgewicht.

Mutterschaft ist eine tiefgreifende Veränderung, die Zeit und Anpassung erfordert. Die eigenen Gefühle zu akzeptieren, sich Unterstützung zu erlauben und gut für sich zu sorgen, sind Schlüssel für einen gesunden Übergang in diese neue Lebensphase.

 

 

Die Bedeutung von Unterstützung und verfügbaren Ressourcen

Die Mutterschaft ist eine Phase tiefgreifender Veränderungen, in der Freude oft mit Zweifeln, Erschöpfung und manchmal auch einem Gefühl der Isolation einhergeht. Umso wichtiger ist es, sich daran zu erinnern, dass keine Mutter diese Herausforderungen alleine bewältigen muss. Emotionale Unterstützung und der Zugang zu den richtigen Hilfsangeboten helfen, diesen Übergang besser zu meistern und wieder zu mehr innerer Balance zu finden.

Sich trauen, Hilfe anzunehmen
Es fällt oft schwer, sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht – besonders angesichts gesellschaftlicher Erwartungen, die eine instinktive, glückliche Mutterschaft propagieren. Dabei kann der Kontakt zu einer auf Perinatalzeit spezialisierten Fachperson eine echte Erleichterung sein.

Hebammen, psychologische Fachpersonen oder Elternberater:innen stehen jungen Müttern in der Wochenbettzeit zur Seite. Ob bei Babyblues, postpartaler Depression, Stillproblemen, Schlafstörungen oder emotionaler Überforderung – sie bieten eine verständnisvolle Begleitung, konkrete Hilfestellungen und praktische Lösungen, um diese Phase mit mehr Gelassenheit zu durchleben.

Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein wichtiger Schritt, um gut für sich selbst und die eigene seelische Gesundheit zu sorgen.

Trost und Rückhalt im nahen Umfeld finden
Auch das familiäre und freundschaftliche Umfeld spielt eine zentrale Rolle für das Wohlbefinden junger Mütter. Gefühle offen auszusprechen, Zweifel zu teilen und Ängste ohne Angst vor Bewertung zu benennen, kann das Gefühl der Einsamkeit erheblich lindern.

Sich erlauben, Aufgaben wie Einkaufen, Haushalt oder Kochen abzugeben, hilft, die eigene Energie und mentale Gesundheit zu schonen. Den Partner, die Familie oder Freund:innen um Entlastung zu bitten – selbst wenn es nur für ein paar Stunden ist – kann ein wertvoller Moment der Erholung sein.

Statt dem Bild der „perfekten Mutter“, die alles allein meistert, sollten wir uns daran erinnern, dass Elternschaft in erster Linie eine gemeinsame Reise ist. Und jede Mutter verdient es, unterstützt und getragen zu werden.

 

Wieder mit sich selbst in Verbindung kommen

Sich um das Baby zu kümmern, hat höchste Priorität – doch auch für sich selbst zu sorgen, ist ebenso wichtig. Schon ein paar Minuten am Tag für eine nährende Aktivität können helfen, das emotionale Gleichgewicht wiederzufinden.

Meditation, postnatales Yoga, Atemübungen, ein Spaziergang an der frischen Luft – all das kann helfen, sich zu zentrieren und innere Ruhe zu finden. Manche Mamis schöpfen Kraft durch Schreiben, Zeichnen oder eine andere kreative Tätigkeit, die ihnen erlaubt, sich frei auszudrücken und sich eine kleine Wohlfühl-Oase im Alltag zu schaffen.

Es ist ebenso wichtig, sich bewusst Auszeiten zu gönnen – selbst wenn es nur wenige Augenblicke sind – und dies ohne Schuldgefühle. Eine zufriedene Mutter ist eine Mutter, die sich selbst wahrnimmt, ihre Bedürfnisse anerkennt und sich Raum nimmt, um ihren Alltag mit Kind besser zu bewältigen.

Schlusswort

Die Mutterschaft ist eine einzigartige Erfahrung, geprägt von vielen gegensätzlichen Emotionen. Zwischen tiefem Glück und intensiven Zweifeln gibt es keinen vorgezeichneten Weg – jede Mutter erlebt diesen Übergang auf ihre eigene Art. Das idealisierte Bild einer „perfekten Elternschaft“ kann das Schuldgefühl noch verstärken, obwohl es ganz normal ist, mit Herausforderungen zu kämpfen und durch schwierige Phasen zu gehen.

Zu erkennen, dass Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit Umbrüchen verbunden sein können, ist ein erster Schritt, um damit besser umgehen zu können. Die Ambivalenz der Gefühle zu akzeptieren, sich Unterstützung zu holen und sich selbst mit Nachsicht zu begegnen, trägt zu mehr Wohlbefinden in dieser neuen Lebensphase bei.

Elternschaft ist kein starres Ideal, sondern ein Weg des Lernens, auf dem sich Freude und Herausforderungen die Hand reichen. Sich überfordert zu fühlen oder psychisch belastet zu sein, macht niemanden zu einer schlechten Mutter oder einem schlechten Elternteil. Im Gegenteil – die eigenen Gefühle bewusst wahrzunehmen, offen darüber zu sprechen und Hilfe zu suchen, sind mutige und notwendige Schritte auf dem Weg zurück zu Gleichgewicht und innerer Stärke – in diesem Abenteuer, das so fordernd wie wundervoll ist.

Aurélia Barras
Psychologin für Perinatalzeit und Elternschaft bei Fegyna

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